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In der Schulgründung von 1601 versteckt sich ein teilweise religiöser und beinahe kriegerischer Akt. Vorangegangen war ein unruhiges halbes Jahrhundert. Der Reichsstadt Aachen mit ihren etwas über 20 000 Einwohnern machten die Folgen der Reformation länger zu schaffen als viele andere Städte. Hier konkurrierten gleich drei Konfessionen: neben den Katholiken und den einflussreichen Lutherischen auch die Reformierten in der Tradition Calvins. Keine Seite konnte sich den Ausgang anders vorstellen, als dass ein Bekenntnis siegen und die anderen verdrängen würde, zumindest aus der Öffentlichkeit. Die Schulen waren Sache der Geistlichkeit, standen also mitten in Glaubensstreit und Glaubenszweifel.

Noch dazu drohte Aachen zum Stützpunkt oder gar Schlachtfeld im Krieg zwischen der kompromisslos katholischen spanischen Krone und den reformierten Vereinigten Niederlanden zu werden, der in unmittelbarer Nachbarschaft tobte. Falls die Evangelischen den Stadtrat „übernahmen“, war das im Gefüge des Heiligen Römischen Reiches eine Provokation für den Kaiser, dessen nomineller Krönungsort Aachen weiterhin war. Schlimmer noch, der Glaubenswechsel einer Stadt bedrohte den brüchigen Religionsfrieden von 1555, der die Konfessionsgrenzen festgeschrieben hatte. Er konnte Krieg im ganzen Reich bedeuten.

1581 war es soweit; der Rat schickte sich an, Aachen ins Lager der Reformation zu führen. Ein internationaler Krisenherd war geschaffen. Fürsten beider Konfessionen vermittelten und drohten, der Reichstag verhandelte jahrelang. Die „Aachener Wirren“ endeten mit dem kaiserlichen Befehl, ein katholisches Stadtregiment herzustellen, und spanische Truppen setzten dies 1598 um – in einer radikalen Form, die auch den meisten Aachener Katholiken nicht passte. Wer in Stadt und Umgebung nicht für die Reformation war, war häufig gegen die katholischen Ultras im neuen Rat; gebildete Bürger und reiche Handwerksmeister waren aus Glaubensgründen geflohen, was Aachens Finanzkraft nachhaltig schwächte (die Messingindustrie sollte nie wieder aus Stolberg zurückkehren). Neuer Ärger war also garantiert.

Großprojekt in Krisenzeiten

Um sich zu konsolidieren, lud der Rat schon 1599 den Orden der Gegenreformation schlechthin zur Gründung einer Niederlassung ein. Die Gesellschaft Jesu wurde gebeten, ein Kolleg zu errichten, die modernste und qualitativ beste Schulform der Zeit. Man erhoffte sich nicht nur eine Neumissionierung der eigenen „Lauen“, die wieder stramme Katholiken werden sollten, sondern auch, modern gesagt, Standortvorteile. Hunderte teils adlige Schüler, die aus der Wallonie, Limburg und dem weiteren Rheinland kommen sollten, würden Kaufkraft in die Stadt bringen – der Schulbesuch selbst war bei den Jesuiten frei, aber ein standesgemäßes Leben verlangte üppige Ausgaben auch von Jugendlichen. Einer der wichtigsten Arbeitgeber Aachens würde entstehen, der Bildung auf konkurrenzlosem Niveau vermittelte… und gerade bei den Gebildeten hatte die Reformation bisher regen Zulauf. Politik der Jesuiten war es, auch nichtkatholische Schüler aufzunehmen – ein missionarischer Effekt auf diese begehrte Minderheit war selbstredend erwünscht und Teil des Konzepts.

Der Orden war damals vielerorts umworben und konnte einiges verlangen, neben Rechtsprivilegien vor allem ein Stiftungsvermögen, das den Schulbetrieb finanzierte – dieses „Stammkapital“ kam auch aus dem Besitz evangelischer Flüchtlinge. Bis 1601 zogen sich die Verhandlungen hin, dann eröffnete das Aachener Kolleg, ein relativ kleines Exemplar seiner Art, in mehreren enteigneten Häusern zwischen der Anna- und der heutigen Frère-Roger-Straße, die vor wenigen Jahren noch Jesuitenstraße geheißen hat. Gelernt wurde – einschließlich Messe, Wiederholung und Hausaufgaben – vom Morgengrauen bis zum frühen Nachmittag auf Latein, in fünf Klassen, die strikt nach Kenntnisstand zusammengesetzt waren, womit Zehn- und Zwanzigjährige ohne weiteres zur selben Lerngruppe gehören konnten.

Noch ehe das Kolleg durch regelmäßige Aufführungen der berühmten Jesuitendramen Teil des Stadtlebens wurde (und seine glaubenseifrigen Schüler sich mal durch frommes Randalieren gegen moderate Katholiken und „Ketzer“, mal durch simple Krawalle hervortaten), wäre es fast wieder verschwunden. 1611 griffen die Reformierten gewaltsam nach der Macht und stürmten die Schlüsselpositionen in Aachen, voran das Rathaus und… das Jesuitenkolleg. Bis 1614 hielt sich der evangelische Rat, dann kehrten die vertriebenen Stadtherren auf den Spitzen spanischer Piken endgültig zurück. Als Symbol der mit aller Härte betriebenen Rekatholisierung Aachens erscheint der zügige Neubau eines eigenen Kolleggebäudes im großen Stil, zu dem die Evangelischen durch Strafgelder beitragen mussten, mit der noch erhaltenen Kirche St. Michael. Das ausgedehnte, aber schlampig errichtete Haus – seine Reste wurden 1944 zerstört und standen bis in die 1960er – ragte etwa so hoch und breit wie das heutige Parkhaus neben der Kirche auf, reichte aber noch tiefer bis zur Annastraße.

Die Aachener wurden tatsächlich glühende Katholiken und blieben es mehrheitlich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, und die Jesuiten zogen unter ihren mehreren hundert Schülern viele reiche Auswärtige an – soweit war der Plan der Stadt aufgegangen. Mit den Streitigkeiten über immer neue Renovierungen der hastig hochgezogenen Kollegbauten hatte man weniger gerechnet, und auf das dem Orden überschriebene Vermögen richteten sich schon bald sehnsüchtige Blicke der durch den Dreißigjährigen Krieg gebeutelten Stadtväter. Dankbarer denn je war man für diese Einwohner nach der Brandkatastrophe von 1656. Nicht nur überstand das Kolleg den Stadtbrand, es baute seine Funktionen sogar noch aus und ermöglichte in Aachen (das sich beim Wiederaufbau heillos verschuldete und seitdem vom Bankrott verfolgt blieb) den Erwerb eines niederen Abschlusses als „Außenstelle“ der Universität Trier.

Trotzdem ging die lange Glanzzeit der Ordensniederlassung bald nach 1700 zu Ende. Nun wurden die Jesuiten, sogar innerkirchlich, zum Symbol unaufgeklärter Rückständigkeit. Nach und nach verlor man Schüler – die Hoffnungsträger lernten anderswo. Die Stadt, stolz auf ihren Badebetrieb, aber von immer neuen Einquartierungen durchziehender Truppen geplagt, konnte weder einen Umbau des Lehrangebots durchsetzen noch Alternativen bezahlen. Schließlich ging 1773 der Papst persönlich auf Drängen katholischer Fürsten gegen „seinen“ Orden vor und löste ihn auf – Aachen stand ohne Schule da.

Als Bildung (fast) nichts kosten durfte…

Sofort begann an allen bisherigen Standorten der Sturm auf das Jesuitenvermögen. Der Bischof von Lüttich, zuständiger Oberhirt in Aachen, und der Kurpfälzer Erbe des Herzogtums Jülich lagen im Rennen vorn und drängten den Stadtrat beiseite, der vom Gründungskapital nichts sah, wohl aber das Vergnügen hatte, die Schule als bescheidene Notlösung auf eigene Kosten fortführen zu müssen… selbst das wäre beinahe am Widerstand des Domkapitels gescheitert. Die Stadt übertrug mehreren Geistlichen der ärmeren Kategorie, darunter Ex-Jesuiten, den Unterricht und bezahlte sie dafür.

Mit diesem „Gymnasium Marianum“, der ersten städtischen Schule im engeren Sinn, ging es seit seiner Gründung zuverlässig bergab. Das Kolleggebäude durfte zwar genutzt werden, war aber kaum noch bewohnbar und halb verlassen. Verloren waren die vornehmen Schüler von auswärts. Der Verfall der Aachener Finanzen drückte sich nicht zuletzt in der Zahlungsmoral aus; zuletzt schuldete man den Lehrern gut ein Jahr lang ihr Gehalt, und was ihre spärlichen Kircheneinkünfte nicht hergaben, holten sie durch dubiose Schulgeldforderungen wieder herein.

Heimatlos wurden die nicht einmal mehr hundert Schüler, als Aachen 1792 und dann endgültig 1794 von den Truppen der Französischen Republik eingenommen wurde. Das Schulgebäude wurde wie viele Kirchen- und Klostervermögen beschlagnahmt, der Unterricht – oder was von ihm übrig war – setzte sich in chaotischer Form in den Privathäusern der Priester-Lehrer fort, die um ihre Existenz und (falls sie keinen Eid auf die Republik schworen) ihr Leben fürchten mussten. Der Friede von Campo Formio 1797 machte aus der besetzten und nun völlig bankrotten Freien Reichsstadt französischen Boden und die Hauptstadt des Département de la Roer. Alle bestehenden Schulen erklärte man 1798 für aufgelöst – von den Mitteln, sie zu ersetzen, stand nichts im Dekret, also ging der Privatunterricht inoffiziell weiter. Bis man sich im kriegsgefährdeten französischen Rheinland um mehr als das tägliche Improvisieren und die bedrohlichen Auswirkungen der diversen Umstürze in Paris kümmern konnte, dauerte es seine Zeit.

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