Noch bevor am 22. April 2024 Ulrich Chaussy seine Lesung zu dem ehemaligen jüdischen KKG-Schüler Dr. Ernst Arthur Eichengrün hielt, erhielt das KKG Anfang des Monats April 2024 Besuch von John Francken, einem pensionierten Zahnarzt aus London, der sich am KKG auf Spurensuche nach seinem Großvater, dem Justizrat Dr. Oskar (2.7.1869 bis 8.9.1932), machen wollte. Auf Einladung der Jüdischen Gemeinde Aachen für Nachkommen von Aachener Juden hatte John Francken in den 1990er Jahren bereits dem Einhard-Gymnasium, der Schule seines Vaters Dr. Hans Francken, einen Besuch abgestattet.

Am Ostermontag, dem 1. April 2024, gab es zum Willkommen ein gemeinsames Abendessen mit John Francken, Herrn Nießen und der Genealogin Iris Gedig, Kuratorin der Internetdatenbank Familienbuch Euregio, die das jüdische Leben in Aachen und am KKG erforschen und den Kontakt hergestellt hatten. John Francken erzählte bei dieser Gelegenheit – auf Deutsch! – seine bewegende Familiengeschichte, der er auch eine Dokumentation gewidmet hat. Eine wichtige Quelle für die Familiengeschichte von John Francken sind die 1370 Briefe seiner Großmutter Dora in Sütterlin-Schrift, die John Francken transkribiert und ins Englische übersetzt hat – überwiegend Korrespondenz mit Johns Tante Dr. Ruth Francken, wohl einer der ersten in Jura promovierten Frauen.

Am darauffolgenden Dienstag führten Herr Adamschewski und Herr Nießen John Francken zusammen mit Rolf Gündel von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Aachen durch das KKG und dessen historische Lehrerbibliothek, die zusammen mit weiteren Schulprogrammen auch den Jahresbericht des Schuljahres 1886/1887 beherbergt, in dem sich auf Seite 44 eine Liste der Abiturienten – darunter Johns Großvater Oskar Francken – findet.

Abb. 1 Oskar Francken als junger Mann

Als Oskar Francken 1887 sein Abitur ablegte, existierte der heutige „Altbau“ des KKG, der in den Jahren 1903 bis 1906 errichtet worden ist, noch nicht. Der Unterricht fand im ehemaligen Klostergebäude der Augustiner-Eremiten statt, von dem sich heute nur noch die Aula Carolina erhalten hat.

Abb. 2 Blick auf das ehemalige Klostergebäude Anfang 20

Wie aus dem entsprechenden Jahresbericht zu entnehmen ist, besuchten im Schuljahr 1886/1887 insgesamt ca. 500 Schüler das KKG, von denen rund 20 jüdisch waren.[1] Ein Zeitungsartikel des gleichen Jahres weiß zu berichten, dass Oskar Francken als Abiturient des KKG die Ehre zuteil wurde, anlässlich einer Feierstunde zum neunzigsten Geburtstag Kaiser Wilhelms I. einen Vortrag zum Thema „Rückwärts, vorwärts laßt uns blicken“ zu halten. Ein eindrückliches Beispiel für die offenbar reibungslose Akkulturation jüdischer Bürger im Deutschen Kaiserreich.

Abb. 3 Oskar Francken Mitte oben feiert Karneval im Kreise von Familie und Freunden

Im gleichen Jahrgang wie Oskar Francken legte auch der spätere Sanitätsrat Dr. Paul Paradies (3.2.1868 bis 26.1.1943) sein Abitur ab. Paradies entzog sich dem Massenmord der Nationalsozialisten an den europäischen Juden durch Freitod, weshalb er zu den Opfern der Schoah gerechnet werden muss.

Abb. 4 Abiturientia 1887 Oskar Francken ganz rechts ohne Getränk

Abb. 5 Dieses Gruppenfoto zeigt außer Oskar Francken zweiter von rechts ganz links Julius Gottschalk einen weiteren KKG Abiturienten

Dr. Oskar Francken lehnte es ab, sich taufen zu lassen und war folglich der erste jüdische Rechtsanwalt in Aachen. Sein Büro befand sich in der Wilhelmstraße 107. Im Januar 1899 berichtete der Aachener Anzeiger, dass durch den russischen Studenten Erich von Samson, den Francken wegen Beleidigung angezeigt hatte, ein Attentat auf ihn verübt worden war, das Francken überlebte. Der Attentäter suizidierte sich anschließend. Seit 1906 gehörte Oskar Francken dem Vorstand der Synagogengemeinde Aachen an; seit 1919 war er deren Vorsitzender. Oskar Francken, der zeitlebens an den Folgen der Schussverletzungen zu leiden hatte, starb kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er ist auf dem jüdischen Friedhof Aachen an der Lütticher Straße bestattet.

Abb. 6 Oskar Francken im AlterAbb. 7 Traueranzeigen für Dr. Oskar Francken im Aachener Anzeiger vom 10.9.1932Abb. 8 Grabstein Oskar Francken c Iris Gedig 2021

John Franckens Vater, Dr. Hans Francken, der am Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, dem heutigen Einhard-Gymnasium, sein Abitur ablegte und wie schon sein eigener Vater promovierter Rechtsanwalt war, überlebte die Schoah nur durch einen Zufall, da man ihn mit seinem bereits verstorbenen Vater „Dr. Francken“ verwechselte. Dr. Hans Francken war zusammen mit Johns Großvater mütterlicherseits, Dr. Georg Heim, auf der Isle of Man interniert, wo sich viele Flüchtlinge, darunter auch Juden, weiteren Repressalien ausgesetzt sahen, nur weil sie aus Nazideutschland stammten. Hans Francken arbeitete als Spion für das britische MI5, um als „Pioneer“ zugelassen zu werden, da es sein größter Wunsch war, den Kampf gegen Hitler aufzunehmen. Da er Deutsch beherrschte, bestand Hans Franckens Aufgabe darin, die Kriegsgefangenen im Latimer House in der Nähe von Amersham abzuhören. Darüber berichtet John ausführlich in seiner Dokumentation.

Abb. 9 V.l.n.r

Quellen:

  • Aachener Anzeiger, Politisches Tageblatt 21. Jahrgang, Nr. 251 vom 29.1.1899.
  • Aachener Anzeiger 54. Jahrgang, Nr. 415 vom 8.9.1932.
  • Echo der Gegenwart 38. Jahrgang, Nr. 68 vom 28.3.1887.
  • Jahresbericht KKG 1886/1887.
  • Fotos aus dem Privatarchiv von John Francken.
  • Lehrerbibliothek KKG / Lennartz, Johannes / Nießen, Johannes Maximilian (Bearb.): Photo Innenhof vor 1903 (Aachen).
  • Francken, John: Secret Listener Hans Francken: story told by his son John, URL: https://www.youtube.com/watch?v=hOtNpkkuIyo (28.04.2024).
  • Gedig, Iris (Bearb.): Familienbuch Euregio, URL: http://www.familienbuch-euregio.eu/ (28.04.2024).
  • ULB Bonn / ULB Münster (Hrsg.): Zeitungsportal NRW, o. O. 2018, URL: https://zeitpunkt.nrw/ (28.04.2024).

Johannes Maximilian Nießen

 

[1]   Vgl. Jahresbericht KKG 1886/1887, S. 44: Gesamtzahl der Schüler Gymnasium zu Beginn des Sommersemesters: 512, zu Beginn des Wintersemesters: 492, am 01.02.1887: 482; Vorschule zu Beginn des Sommersemesters: 120, zu Beginn des Wintersemesters: 119, am 01.02.1887: 120; Anzahl der jüdischen Schüler am Gymnasium zu Beginn des Sommersemesters: 21, zu Beginn des Wintersemesters: 20, am 01.02.1887: 20; in der Vorschule zu Beginn des Sommersemesters: 6, zu Beginn Wintersemesters: 6, am 01.02.1887: 6.

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